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Pädagogik bleibt Beziehungsarbeit | 0 Kommentare

Stefan Weidmann

Beziehung, Beziehung, Beziehung

Quelle: M Yashna/flickr.com (CC BY 2.0)

Geschlechtsbezogenes Arbeiten sollte stärker in der täglichen pädagogischen Arbeit stattfinden und weniger in Projekte verlagert werden, sagt Stefan Weidmann, Vorstand der LAG Jungenarbeit Nordrhein-Westfalen.

1815 schrieb Heinrich Pestalozzi in seinem Text „An die Unschuld“: „Unser Geschlecht bildet sich wesentlich nur von Angesicht zu Angesicht, nur von Herz zu Herz menschlich. Es bildet sich wesentlich nur in engen, kleinen, sich allmählich in Anmut und Liebe, in Sicherheit und Treu ausdehnenden Kreisen also.“

Auch wenn Pestalozzi hier nicht das biologische oder soziale Geschlecht, sondern das Menschengeschlecht im Blick hat, ist und bleibt die Pädagogik auch 200 Jahre danach immer Beziehungsarbeit. Und das gilt auch für die geschlechtsbezogene Pädagogik, egal ob mit Mädchen oder Jungen oder intersektional. Friedensnobelpreise, internationale Tage oder geschlechtsspezifische Projekte erzeugen Aufmerksamkeit und sind einer Emanzipation von Geschlechterrollen zuträglich, Beziehungen können sie aber niemals ersetzen.

Und doch tun sie es. In der Förderung geschlechtsspezifischer Jugendarbeit (z.B. im Kinder- und Jugendförderplan NRW), sie tun es in der Presse, sie tun es in all den pädagogischen Institutionen, die eigentlich um Beziehungen bemüht sein müssten (Kita, Schule, Jugendhilfe). Das Geschlecht, die Auseinandersetzung mit Rollenstereotypen wird in Projekte verlagert und findet im pädagogischen Alltag nicht statt, zumindest nicht reflektiert und in diesem Sinne pädagogisch professionell.

Als könnte ein Schüler in einem sexualpädagogischen Schulprojekt mit Pro Familia wirklich Sicherheit in seiner Sexualität gewinnen, wenn gleich nach dem geschützten Raum der unsichere Alltag mit den Lehrer/innen, Schüler/innen, Freund/innen und Familie wieder Platz greift und das Leben dominiert. Glaubt das wirklich jemand?

Ob man es nun Alltag, Lebenswelt oder Sozialraum nennt (die Unterscheidungen sind richtig und notwendig, können hier aber nicht ausgeführt werden) - das was Jungen (und Mädchen und alle anderen) in ihrem  Leben mit anderen erleben, tagein, tagaus, das ist es, was sie prägt, was sie sich entwickeln lässt, was ihre Identität bildet, was letztlich ihr Geschlecht ausmacht (und damit meine ich ihren Teil des Menschengeschlechts ebenso wie ihr eigenes Geschlechtsverständnis).

Kann nun eine Pädagogik - oder umfassender: eine Soziale Arbeit - Menschen in ihrer Entwicklung unterstützen, wenn sie sich auf bestimmte Aspekte des Menschen spezialisiert - eigentlich müsste ich sagen: wenn sie sich auf bestimmte Probleme, oder noch genauer auf bestimmte Problemvordefinitionen spezialisiert? Derart spezialisierte Projekte können spezielles Wissen vermitteln, sie können Möglichkeiten auf eine begrenzte Zeit bieten. Mit Bildung hat das allerdings wenig zu tun, und mit geschlechtsbezogener Pädagogik auch nicht viel.

Für die Soziale Arbeit bedeutet dies, sich - entgegen der Förderlogiken - viel weniger um geschlechtsbezogene Projekte zu bemühen und viel mehr um die Geschlechtsbezogenheit ihrer tagtäglichen Arbeit und derjenigen, die tagtäglich mit ihren Adressaten zu tun haben.

Wie einfach das ist, hat das Kreisjugendamt im Rhein-Sieg-Kreis in einem Modellprojekt gezeigt. In den letzten Jahren wurden eine Kindertagesstätte, eine Grundschule und zwei Fußballvereine bei ihrer Arbeit mit Jungen begleitet. Es wurden keine Projekte mit Jungen veranstaltet, vielmehr wurden die Erzieherinnen, die Lehrerinnen und die Trainer bei ihrer Arbeit von Jungenarbeitern begleitet und geschlechtsbezogen reflektiert. Dann ging es um Fragen nach dem Bauarbeiterhelm in der Verkleidungskiste, nach Räumen für Bewegung, nach der Bedeutung der Trainer/Männer für die Spieler/Jungen.

Hier wurde nichts kritisiert, sondern gemeinsam ein Blick auf den täglichen Umgang mit Jungen als Jungen geworfen, also einfach eine neue, andere Perspektive auf die Beziehung eröffnet. Diese neue Perspektive haben Erzieherinnen, Lehrerinnen und Trainer sehr positiv bewertet und als Bereicherung ihres Handelns mit den Jungen wahrgenommen. Es ist deshalb nicht nur erstaunlich, dass geschlechtsbezogenes Arbeiten meist in Projektform stattfindet, sondern auch, dass die geschlechtsbezogene Fort- und Weiterbildung in der Regel Projekten gleich kommt, die außer Haus und außerhalb der täglichen Arbeit stattfindet. Die Vermutung, dass eine derartige Bildung sich im Alltag niederschlägt, hat sich bisher kaum bestätigt. Es ist weiter erstaunlich, dass die Träger, die Fachberatungen, die Verbände usw. zwar die Einrichtungen und Mitarbeiter/innen beraten, aber ihre Arbeit nicht auf eine solche Weise geschlechtsbezogene Begleitung.

Warum das so ist, weiß ich nicht, aber es bleibt zu hoffen, dass es sich ändert. Schwer ist es jedenfalls nicht! Und dass Pädagogik Beziehungsarbeit ist, wissen wir seit mindestens 200 Jahren …

Autor

Ein Gast-Blog-Beitrag von Stefan Weidmann, MA, Dipl.-Soz.arb.; z. Zt. wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule RheinMain, Wiesbaden, im Vorstand der LAG Jungenarbeit NRW 

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